Eine Geschichte vom Wechsel(n)
Von der Automobilbranche hin zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit – vor einiger Zeit ist unserem Coachee Florian Westerholt der Wechsel in den Dritten Sektor gelungen. Im Interview erzählt er, wie er den Wechsel geschafft hat und wie es ihm seitdem ergangen ist.
Lieber Florian, woher kam Dein Wunsch, Deinen Job in der Automobilbranche an den Nagel zu hängen und Dir einen „Job mit Sinn“ zu suchen?
Ich bin irgendwie nach meinem BWL-Studium in die Automobilbranche „hineingestolpert“. Das klingt jetzt merkwürdig, weil ich eigentlich gut in dem war, was ich dort gemacht habe und an vielen Aspekten auch großen Spaß hatte. Es war allerdings nie eine Herzensangelegenheit, ich war und bin lustigerweise gar kein Autoliebhaber und kann auch nicht glaubhaft fachsimpeln. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit kam immer dann auf, wenn der Frust im Job groß war und ich mich damit auseinandersetzen musste, ob man nur zum Geldverdienen arbeitet oder auch für ein sinnvolles und gesellschaftlich relevantes Ziel.
Wie lange hat der Umstieg bei Dir gedauert und was waren Deine „Meilensteine“ vom ersten Wechsel-Gedanken bis zum neuen Job?
Beschäftigt hatte ich mich mit dem Thema seit Jahren und war hier und da auch immer mal wieder aktiv. So stand ich 2009 kurz davor, mit einer deutschen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Mikrofinanzierung nach Afrika zu gehen. Das zog sich dann aber so lange hin, dass ich nicht mehr warten konnte und letztlich mit meinem damaligen Arbeitgeber ins Ausland gegangen bin. Das war für meine Familie und mich auch eine schöne und erfüllende Zeit, nach der allerdings die Rückkehr nach Deutschland umso schwerer fiel. Als erster konkreter Schritt kam die Internetrecherche nach Jobs im Dritten Sektor, was beschwerlich war, weil ich gar nicht wusste, wo ich überhaupt suchen soll. Als zweites kam dann rein zufällig die Workshop-Info zum „Job mit Sinn“ von Talents4Good auf meinen Bildschirm. Nach kurzer Rücksprache mit meiner Frau habe ich mich dann angemeldet und bin aus dem Großraum Stuttgart für ein verlängertes Wochenende nach Berlin gefahren.
Wie hast Du nach einem neuen Job im Nonprofit-Sektor gesucht? Was hat vielleicht besonders gut geklappt, was gar nicht?
Nach dem Workshop bei Talents4Good hatte ich einen guten Eindruck, welche Organisationen überhaupt in Frage kommen und wo man ganz praktischerweise nach Jobs sucht. Meine Frau und ich hatten uns für einen harten Schnitt entschieden, zunächst zu kündigen und nach Berlin zu ziehen, so dass ich mich hier vor Ort auf die Jobsuche konzentrieren könnte. Mir ist bewusst geworden, dass jede*r Wechselwillige viele individuelle Entscheidungen treffen muss, da die Voraussetzungen immer unterschiedlich sind. Meine Frau kann ihren Beruf ortsungebunden ausüben und unsere Kinder waren bei unserer Entscheidung noch im Kindergartenalter, also war der Zeitpunkt günstig. Die Übergangszeit – ich hatte eine recht lange Kündigungsfrist von sechs Monaten – wiederum war sehr belastend, weil ich über Monate hinweg zum Wochenende nach Berlin pendeln musste, um ein bisschen Familienleben zu genießen, während ich in der Woche noch in meinem alten Job war.
Erstmal arbeitslos in Berlin angekommen, habe ich mich gezielt auf Stellensuche begeben und versucht, Anforderungsprofile zu finden, die meinen Erfahrungen entsprachen. Einige Male habe ich mich allerdings auch von interessanten Organisationen blenden lassen, auf deren Ausschreibungen ich gar nicht gepasst hätte. Zunächst hagelte es Absagen, auch bei Stellen, bei denen ich fest eine Einladung zum Vorstellungsgespräch eingeplant hatte. Dann plötzlich waren zwei Organisationen interessiert und ich hatte die Qual der Wahl.
Welche Rolle spielte das Karriere-Coaching von Talents4Good bei Deiner Suche?
Der Workshop war aus vielerlei Hinsicht eine große Hilfe. Zunächst fand ich mich in einer Gruppe von Berufstätigen wieder, die allesamt langjährige Erfahrungen in der Wirtschaft gesammelt hatten und alle am selben Punkt angekommen waren wie ich. Das tat gut, denn so konnte sich schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre entwickeln. Auch ging es bei den Inhalten ganz schön zur Sache – es wurden viele Informationen angeboten und vermittelt, sowohl Überblicke als auch spezifische Informationen zum Alltag in Organisationen des Dritten Sektors. Gendergerechte Sprache ist ja in vielen Unternehmen noch nicht gang und gäbe und zum Vorstellungsgespräch ist man erstmal auf Anzug und Krawatte eingestellt. Aber auch die Einzelgespräche zu der eigenen Vita waren sehr hilfreich, weil man hier die Meinung von Expert*innen erhalten konnte. Letztlich muss ich sagen, dass mir der Workshop von Talents4Good erheblich geholfen hat, aus der fixen Idee einen umsetzbaren Plan zu machen.
Was begeistert Dich an Deinem neuen Job?
Jetzt ist der Sinn da, der mich auch durch schwierige Zeiten bringt. Ganz ohne Polemik könnte ich argumentieren, dass das Bedürfnis der Menschheit auf Mobilität sehr wichtig ist und daher meine Arbeit in der Automobilwelt irgendwie auch eine Rolle erfüllt hat. Aber nun Teil einer großen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe zu sein, die sich ausdrücklich mit benachteiligten Gruppen in aller Welt solidarisiert und versucht, Teil der Lösung zu sein, ist etwas ganz anderes. Jetzt weiß ich, dass meine tägliche Arbeit einen ganz kleinen Teil dazu beiträgt, dass globale Probleme adressiert werden. Ich hatte aber auch das Glück, in ein tolles Team zu kommen, dass Mitarbeitende mit verschiedenen Hintergründen zusammengebracht hat und gut funktioniert.
Gibt es Dinge, die Dich in dieser für Dich neuen Arbeitswelt irritieren? Also Momente des „Kulturschocks“?
Erstmal war ich erstaunt, dass es bestimmte Regeln gar nicht mehr gibt, z. B. eine strikte Kleiderordnung. Bei meinen vorherigen Arbeitgebern war man schon falsch angezogen, wenn man die Krawatte wegließ. Gleichzeitig ist es schwierig, in einer Arbeitswelt sofort anzukommen, in der hierarchische und partizipative Elemente gleichzeitig bestehen. Im Industrieunternehmen herrscht ja grundsätzlich immer noch ein klassisch-hierarchisches System; hier ist der Stil mit einer teilweise sehr leidenschaftlichen Diskussions- und Streitkultur kombiniert. Man muss also immer flexibel bleiben und sich je nach Gesprächspartner*in auf verschiedene Ansätze einstellen.
Was würdest Du anderen Umsteiger*innen mit auf den Weg geben?
Mir hat sehr geholfen, mich mit Leuten zu vernetzen, die ähnliche Interessen an einem Karrierewechsel hatten oder über den Sektor und die Arbeitsbedingungen Bescheid wussten. Auch ist es wichtig zu überlegen, welche Art von Organisation einem liegt, denn es gibt ja diverse „Player“, die als mögliche Arbeitgeber einen sinnvollen Job bieten können. Ganz handfest ist die Frage nach den eigenen Lebensumständen zu klären, denn letztlich muss das Umfeld mitspielen. Partner*innen, Kinder, Verwandte, Freunde…alle müssen weiterhin ins Bild passen. Wenn man sich entschieden hat, braucht man auch als berufserfahrener Mensch einen langen Atem, denn plötzlich sind genau die Fähigkeiten, die zuvor zum Erfolg geführt haben, vielleicht plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Auch wichtig und von mir zunächst unterschätzt ist die individuelle Bearbeitung der Bewerbungsunterlagen, und zwar nicht nur des Anschreibens, sondern auch des Lebenslaufs. Die in der Stellenausschreibung aufgeführten Schlagworte sollten sich auch in den Bewerbungsunterlagen wiederfinden oder zumindest aus vergleichbaren Erfahrungen überleiten lassen. Erst als ich zu jeder Bewerbung meinen Lebenslauf jedes Mal komplett umgestellt hatte, was sehr zeitaufwändig war, stellte sich der Erfolg ein.