Ein fortlaufender Lernprozess: Bilderwelt und Webseite diskriminierungs- und barrierearm gestalten

Hinter uns liegen mehrere Monate Arbeit „im stillen Kämmerlein“ an unserer neuen Webseite. In dieser Zeit haben wir uns auch viel mit Themen, die für uns ganz unabhängig des Relaunchs eine große Rolle spielen, auseinandergesetzt. Einige Überlegungen und Erkenntnisse in puncto diskriminierungsarme Bilderwelt und barrierearme Webseite hat unsere Kollegin Nora Beckmann einmal zusammengefasst.

Endlich eine neue Webseite – und jetzt?

Wenn Sie diesen Satz gerade lesen, ist das für uns ein gutes Zeichen: Sie haben unsere neue Webseite aufgerufen.
Wie so oft bei kleineren Unternehmen und Organisationen ohne großes Marketingbudget fehlte es auch für unseren lang ersehnten Website-Relaunch an Ressourcen – vor allem in zeitlicher Hinsicht. Entsprechend waren wir recht lange damit beschäftigt, Ressourcen zu schaffen: Wer schreibt neben dem projektgetriebenen Alltagsgeschäft die Texte? Wer kümmert sich um die Abstimmung und Koordinierung, achtet darauf, dass alle einbezogen werden, und behält den Zeitplan im Blick? Und ist es nicht eigentlich auch Zeit für ein Redesign der kompletten Corporate Identity?

Einmal diskriminierungsarme Bilderwelt zum Mitnehmen bitte!

Ja, es war nicht unbedingt ein geradliniger Weg bis zum Go-live Mitte März 2023. Aber einer, auf dem wir wertvolle Erkenntnisse gesammelt, viele produktive Diskussionen geführt und unterschiedliche Weichen für die Zukunft gestellt haben. Warum wir denken, dass das auch für Sie interessant ist?
Weil wir Diskussionen geführt haben, die im besten Fall in vielen Organisationen geführt werden. Unser Anspruch ist es, dass wir kontinuierlich daran arbeiten, Hürden abzubauen und diskriminierungssensibel zu handeln. Dies wollen wir ebenfalls mit der neuen Webseite mehr und mehr erreichen und z. B. im Aufbau, der Gestaltung oder der Auswahl der Bilder abbilden.
Gerade letztere führt im Marketing immer wieder zu Irritationen. Bei uns im Team wurde zuletzt über die Auswahl von (Stock)Fotos für Infokarten, die für kommende Messeauftritte genutzt werden sollten, diskutiert: Die Qualität war gut, die Kontraste und Farben passend. Dennoch zeigten sich manche Teammitglieder irritiert.

„Reproduziert ihr dadurch nicht Stereotype?“

Und tatsächlich: Die Infokarten für potenzielle Kund*innen zeigten einen weißen mittelalten Mann, mit der Frage „Ist ihr Team gut aufgestellt für den Wandel?“. Auf dem Bild wurden keine Hierarchieebenen oder Interaktionen abgebildet, aber dennoch: Die Frage stellte eine Verbindung zwischen dem Mann auf dem Bild und der Position einer Führungskraft da. Die Assoziation Mann = Chef, die in vielen Köpfen noch primär vorherrscht, wurde gestützt. In einem Unternehmen, das von zwei Frauen gegründet wurde und seit jeher von Frauen geführt wird. Kurzerhand schwenkten wir auf eigene Bilder um. Die Gesichter unserer Geschäftsführerinnen zierten die Infokarten für potenzielle Kund*innen am Tag der Messe.
Die Diskussion um authentische, zielgruppengerechte und zum Inhalt passende Fotos sollte uns während der gesamten Arbeit am Website-Relaunch begleiten.

Wer fühlt sich wovon angesprochen? Wer wird nicht repräsentiert und fühlt sich daher ggf. nicht mitgemeint? Wer ist in welcher Rolle/Position dargestellt?

Eine kurze Checkliste findet sich dazu zum Beispiel auf der Seite des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen, ein bundesweites Netzwerk von Journalist*innen mit und ohne internationale Geschichte. Sie richtet sich an Bildredaktionen, ist aber auch allgemein auf den Bereich Kommunikation und Marketing übertragbar. Hilfreich ist es darüber hinaus, Bilderdatenbanken zu nutzen, die Vielfalt bewusster abbilden. Eine Anlaufstelle ist beispielsweise die Fotodatenbank Gesellschaftsbilder.
Die neue Webseite ist weit entfernt von „perfekt“ und wir nutzen noch viele Stockfotos, nicht immer mit klarem Bezug. Nach und nach wird sich dies ändern und z. B. noch weitere authentische Bilder von Mitgliedern unseres gewachsenen Teams dazukommen.
Auch auf dem weiteren Weg werden wir uns bei der Auswahl von (Stock)Bildern verschiedene Fragen stellen wie

  • Befinden sich die abgebildeten Personen auf Augenhöhe?
  • Welche Personengruppe wird eventuell stereotyp oder gar nicht dargestellt?
  • Welche (kritischen) Assoziationen in Bezug auf bestimmte Gruppen können durch die ausgewählten Bilder entstehen?
  • Ist das Bild als Symbolbild geeignet?

Bilder sind Teil unserer Sprache und die wollen wir so diskriminierungsarm wie möglich gestalten. Wir freuen uns auf den weiteren Lernprozess und laden Sie ein, ebenfalls die Bilder auf Ihrer Webseite oder in anderen Kommunikationsformaten immer wieder auf mögliche Darstellung von Stereotypen oder Reproduzierung von Diskriminierung zu überprüfen und zu hinterfragen.*

Keine harte Tür: Webseiten barrierearm für alle gestalten

Oft wird bei „Barrierefreiheit“ als erstes an Zugänge zu Gebäuden oder Bahnstationen gedacht. Eine wichtige Rolle spielt sie jedoch auch im digitalen Raum. Barrierefrei sind in diesem Kontext nach §4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) „[…] Systeme der Informationsverarbeitung […], wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind […].“

Was hat Sie zuletzt behindert?

Eine Behinderung ist allerdings kein ausschließliches Gesundheitsproblem, sondern kontextabhängig. Sie kann permanent, temporär oder situativ auftreten. Macht es nicht schon einen Unterschied, ob ich die Webseite auf meinem Smartphone nach der Arbeit in der U-Bahn mit entsprechender Geräuschkulisse aufrufe oder konzentriert im Büro an einem großen Bildschirm Inhalte auf der Webseite suche? Gleichzeitig kann ich auch durch Kinderbetreuung, eine Verletzung an der Hand oder am Auge temporär in bestimmten Bereichen beeinträchtigt sein, die sich ebenfalls auf meine Mobilität im Netz auswirken.
Somit stellen sich an eine Webseite viele unterschiedliche Bedürfnisse, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen.

Wir nutzen daher den mittlerweile ebenfalls gängigen Begriff der Barrierearmut, um abzubilden, dass Barrierefreiheit nicht in jeder Situation für jede Person erreicht werden kann.
Auch in diesem Bereich gibt es für unsere neue Webseite noch fortlaufenden Optimierungsbedarf. Der Vorteil an der kontinuierlichen Arbeit am Abbau von Hürden:

Von Barrierearmut profitieren alle, selbst Suchmaschinen

Während der Arbeit am Relaunch haben wir versucht, Barrierearmut von Beginn an stärker mit einzubeziehen. Im Gegensatz zu unserem eigentlichen Corporate Design verzichten wir beispielsweise nun nahezu überall auf Serifenschriften, um die Lesbarkeit zu erhöhen.
Der Aufbau der Webseite ist endlich deutlich strukturierter und Inhalte sind einfacher auffindbar. An vielen Stellen haben wir auf redundante und komplexe Inhalte verzichtet. Was „gut verständlich“ ist, wird dabei zum Teil unterschiedlich bewertet. So haben wir als Web-Team „Hausaufgaben“ von den Teammitgliedern, die die Texte vorab redigiert haben, bekommen und werden noch an unterschiedlichsten Stellen neben den Bildern auch an der Sprache feilen.

Wenn Sie Anmerkungen, konstruktives Feedback oder sonstige Beobachtungen zur neuen Seite mit uns teilen wollen, schreiben Sie uns gerne! Sie erreichen uns über [email protected].

*Uns ist bewusst, dass Antidiskriminierungsarbeit nicht bei der Auswahl von Fotos beginnt oder dort aufhören darf. Wir befinden uns ebenfalls in einem kontinuierlichen organisationalen Lernprozess. Wenn Sie unsere Angebote im Bereich diskriminierungssensibles Recruiting kennenlernen möchten, schauen Sie doch mal im Bereich für Organisationen vorbei.