15 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – Noch Luft nach oben

Seit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor 15 Jahren, am 18. August 2006, in Kraft getreten ist, hat sich sowohl für Arbeitgeber*innen als auch für Arbeitnehmende viel getan. Anlässlich seines 15-jährigen Jubiläums haben unsere Kolleg*innen Valentin Huber und Nora Beckmann das AGG auf den Prüfstand gestellt. In diesem Artikel gehen sie den Fragen nach, welche Bereiche das Gesetz eigentlich abdeckt und ob es noch stärker zu einer diskriminierungsfreieren Arbeitswelt beitragen könnte.* Lesen Sie Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)außerdem, was Organisationen im Rekrutierungsprozess beachten sollten.

Seit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor 15 Jahren, am 18. August 2006, in Kraft getreten ist, hat sich sowohl für Arbeitgeber*innen als auch für Arbeitnehmende viel getan.

Dennoch können die Vorgaben, die eine Benachteiligung von bestimmten Personengruppen verhindern oder beseitigen sollen (§1 AGG), auch heute noch Unsicherheiten oder negative Assoziationen wie das Bild der sog. AGG-Hopper hervorrufen. Darunter werden Personen verstanden, die wiederholt auf Grundlage des AGGs nach erfolglosen Bewerbungen gegen potenzielle Arbeitgeber*innen klag(t)en und strategisch Schadensersatzansprüche aufgrund von Diskriminierung geltend machen woll(t)en.

Unsicherheiten bestehen weiterhin, da eine stets eindeutige Rechtslage und somit klare Orientierung bzw. feste Handlungsspielräume für beide Seiten selbst 15 Jahre nach Einführung des Gesetzes noch nicht erreicht wurde. Für unsere tägliche Arbeit stellt das AGG dennoch eine feste Bezugsgröße dar.

Was „kann“ das AGG?

Grundsätzlich verbietet das AGG Diskriminierungen „aus Gründen der Rasse** oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ (§ 1 AGG) im Arbeits- sowie im Zivilrecht. Auf dieser Grundlage wird es z. B. Bewerbenden leichter gemacht, gegen Ungleichbehandlungen im Auswahlprozess vorzugehen. Das Gesetz schützt insgesamt von der Bewerbung bis zur Kündigung. Wichtig dabei: Schon wer von einer Stellenanzeige angesprochen wird, gilt als Bewerber*in. Insbesondere die Ausschreibung muss somit diskriminierungsfrei formuliert sein.

Was ist klar, was nicht?

Die Urteile der letzten 15 Jahre ergeben kein klares Bild und schwankten in ihrer Eindeutigkeit. Mittlerweile dürfte jedem*r klar sein, dass in einer Ausschreibung Formulierungen wie „junge Verkäuferin“ oder „Bürofee“ nicht auftauchen sollten.

In anderen Fällen ist die Rechtsprechung weniger eindeutig. Darf ein Damenbekleidungsgeschäft explizit nach Verkäuferinnen suchen oder in getrennt unterrichteten Sportklassen, die Lehrperson nur das gleiche Geschlecht wie die jeweiligen Schüler*innen haben? Wann eine Ungleichbehandlung aufgrund der beruflichen Anforderungen zulässig ist (vgl. §8 AGG), ist in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden worden.

Im gemeinwohlorientierten Sektor kommen ähnliche Fallkonstellationen wie die aufgezeigten Beispiele selten zum Tragen. Eine festgehaltene Ausnahme spielt jedoch besonders für den Sozialen Sektor eine Rolle: Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung ist in bestimmten Situationen erlaubt (vgl. §9 AGG). Kirchliche Organisationen können aufgrund der Religionszugehörigkeit Bewerbungen ablehnen, wenn es sich bei der Position um eine „verkündigungsnahe“ Tätigkeit handelt. Es ist offensichtlich, dass die katholische Kirche keinen ungetauften Pfarrer einstellen kann. Ob aber z. B. Positionen im Bereich Presse und Kommunikation auch „verkündigungsnahe“ Tätigkeiten darstellen, bleibt Auslegungssache.

Neben der zulässigen unterschiedlichen Behandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung zeigt das AGG außerdem verschiedene Fälle für eine „zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters“ (§10 AGG) auf, welche für alle Bereiche des gemeinwohlorientierten Sektors Relevanz haben. Darunter fallen z. B. die Festlegung von Mindestanforderungen an die Dauer der Berufserfahrung. Inwieweit die Forderung einer sehr hohen Jahresanzahl an Berufserfahrung jedoch „angemessen und erforderlich sind“, sollte bei jeder Stellenausschreibung kritisch reflektiert werden.

Neben diesen zulässigen unterschiedlichen Behandlungen benennt das AGG auch die Möglichkeit der Umsetzung Positiver Maßnahmen, die die Verhinderung oder Beseitigung bestehender Nachteile bezwecken (§5 AGG).

Wer oder was sind Positive Maßnahmen?

Positive Maßnahmen werden auch positive Diskriminierung oder im Englischen „affirmative actions“ genannt. Ziel ist es, durch gezielte Ungleichbehandlungen bestehende ungleiche Voraussetzungen oder strukturelle Ungleichbehandlungen bestimmter Personengruppen auszugleichen oder zu verhindern.

Ein klassisches Beispiel für eine solche Maßnahme ist die zulässige und gängige Formulierung „Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher Eignung besonders berücksichtigt“. Aber auch die Einführung von Frauenquoten in Führungsriegen, um der historisch gewachsenen ungleichen Verteilung entgegenzuwirken, stellt ein solches Beispiel dar.

Weiterhin können etwa Stiftungen angeführt werden, die explizit Stipendien an Studierende mit nicht-akademischem Hintergrund vergeben. Der §5 erlaubt solche Maßnahmen dann, wenn zunächst der Zweck des Ausgleichs bestehender Nachteile erfüllt ist. Allerdings muss eine Verhältnismäßigkeit gewährleistet bleiben, damit nichtbetroffene Personengruppen keinen ungerechten Benachteiligungen unterworfen werden.

An der fehlenden Tiefe der positiven Maßnahmen im AGG wird wiederholt Kritik geübt. So sind oben genannte Maßnahmen zwar erlaubt, dies reiche jedoch nicht aus, um bestehenden Benachteiligungen entgegenzuwirken. Dafür mangele es zum einen an gesetzlichen Verpflichtungen, zum anderen an Anreizsystemen, die positive Maßnahmen für Unternehmen und Organisationen attraktiv machen. Bislang zählt der gute Wille.

Was können Organisationen tun?

Für eine erfolgreiche und nachhaltige Implementierung positiver Maßnahmen ist es elementar, dass die Führungsebene sich klar dazu bekennt und Mitarbeitende in den Prozess miteinbezieht. Dieser Prozess findet meist völlig losgelöst von den Vorgaben des AGGs statt, auch wenn sich die Ziele des Gesetzes in ihm widerspiegeln.

Häufig wird zudem außen vorgelassen, was eigentlich klar sein sollte: auch die betroffene Zielgruppe sollte in die Planung von positiven Maßnahmen miteinbezogen werden. Nur durch einen inklusiven Dialog können reale Bedürfnisse identifiziert und adressiert werden. Und nur auf dieser Basis kann auch eine geeignete Strategie entstehen, um diesen Bedürfnissen nachzukommen.

Aussagen zur Ansprache bestimmter Personen in Stellenausschreibungen ohne interne Beschäftigung mit Themen wie Diversität und Inklusion sind somit im Sinne der Positiven Maßnahmen des AGGs möglich, zeigen jedoch den verkürzten Blick des Gesetzes auf Prävention und Beseitigung von Diskriminierung.

Durch das AGG wurde Bewerber*innen und Beschäftigten eine Grundlage gegeben, gegen Diskriminierungen leichter gerichtlich vorgehen zu können. Darüber hinaus eröffnet das Gesetz durch die sog. Positiven Maßnahmen Raum für Organisationen, verstärkt Präventionsarbeit zu leisten und Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken. Oftmals geschieht dies jedoch nicht mit Bezug auf oder Orientierung am AGG und nur im Sinne einer Selbstverpflichtung.

Dass immer mehr Organisationen ihre eigenen Strukturen und Kulturen nun kritisch(er) hinterfragen und nachhaltige Veränderungen anstreben, kann somit nicht der Einführung des AGGs vor 15 Jahren zurückgeführt werden – begrüßenswert und wichtig sind trotzdem beide Seiten: Ein Antidiskriminierungsgesetz und die zusätzliche Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Prävention/Beseitigung dieser in der eigenen Organisation.

Autor*innen: Valentin Huber und Nora Beckmann | Talents4Good

*Eine Rechtsberatung zu diesem Thema können wir jedoch nicht anbieten. Dieser Artikel dient als Orientierung, ist jedoch nicht juristisch geprüft.

**Der Rassebegriff wird in Gesetzestexten immer noch verwendet. Im Juni 2021 wurden entsprechende Änderungsanträge abgelehnt.

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